Herbstgutachten

Herbstgutachten der Immobilienweisen
Kurzfristig kaum Veränderungen am Wohnungsmarkt – „Die Menschen wollen mehr Platz, mehr Grün, mehr Eigentum“

Den Wohnungsmarkt hat die Corona-Pandemie nach Einschätzung der Immobilienweisen bisher kaum tangiert. Allerdings gibt es begründete Thesen, dass das in der Corona-Zeit millionenfach praktizierte Home-Office – im Kontext mit zunehmender Digitalisierung und hohen Wohnkosten in den Metropolen – die schon vor der Pandemie sichtbare Suburbanisierung beschleunigen könnten. Um eine Einschätzung zu den Folgen der Corona-Pandemie für die Immobilienbranche zu ermöglichen, hat der ZIA außer der Reihe der jährlichen Frühjahrsgutachten der Immobilienweisen ein Herbstgutachten herausgegeben.

„Wir reden immer über Corona. Aber die größeren Probleme sind die, die wir schon vor Corona hatten“, erklärt Andreas Schulten, Generalbevollmächtigter bei bulwiengesa, bei der Vorstellung des Herbstgutachtens der Immobilienweisen. „Wir haben hohe Preise und vor allem hohe Grundstückspreise – ein gänzlich unregulierter Markt.“ Es gebe weiterhin einen hohen Anlagedruck. „Gerade internationale Investoren finden Deutschland sowas von sicher.“

Einzelhandel leidet vor allen in den großen Städten

Das gilt allerdings nicht für alle Assetklassen im Immobilienbereich. Investitionen für Einzelhandelsimmobilien sowie Hotels sind nahezu zum Erliegen gekommen – auch, weil Banken hier die Finanzierung neuer Projekte und Investments verweigern. Zudem hat Corona den Strukturwandel des Einzelhandels noch mal forciert. Es wurde viel online vom Sofa aus gekauft. „In einigen Segmenten wird der Marktanteil des Onlinehandels 2020 größer sein, als der des stationären Handels“, erklärt Michael Gerling, EHI Retail Institute. Starke Einbußen erlebten etwa Mode oder Schuhe, aber auch hochwertige aperiodische Waren. „Das betrifft vor allem Händler in den großen Städten“, verweist Gerling auf die Nebenwirkung des Home-Office. „Gewinner sind die Stadtteilzentren und die Mittelstädte im Speckgürtel – dort, wo die Pendler wohnen.“

Der Einzelhandelsexperte warnt davor, in Folge der erwartbaren Insolvenzen – etwa im klassischen A-Lagen-Segment Mode – die freien Flächen an Drogerien oder Supermärkte zu vermieten. „Fährst du aus der Metropolregion an den Jungfernstieg, um Rossmann zu besuchen? Wenn Aldi und Rossmann in den A-Lagen mieten, ist die Anziehungskraft nicht mehr da und es entsteht eine Abwärtsspirale.“

Nachhaltigkeit des Home-Office-Trends strittig

Bei der These, dass auch Kaufkraft in den metropolen Zentren verloren geht, weil in signifikantem Umfang Büroarbeitsplätze dauerhaft ins Home-Office verlegt werden, liegen die Immobilienweisen nicht ganz auf einer Linie. Zwar erwartet Schulten, dass „Corona durchaus andere Bürolagen fördern kann – wohnortnah an der Peripherie oder in den Stadtteilzentren. Generell muss man sich über Büros aber keine Sorgen machen. Es wird sich ein wenig verändern, aber weniger, als in den letzten drei Jahren durch die flexible office spaces. Das war wirklich eine Revolution.“

Hingegen sieht der Immobilien- und Wirtschaftsweise Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, dass „Büroimmobilien nun von der Wirtschaftskrise und einer Reorganisation von Arbeitsabläufen besonders stark betroffen sein dürften. So ist zu erwarten, dass sich der pandemiebedingt verstärkte Einsatz von Home-Office nachhaltig auswirken wird.“ Diesen Prozess dürfte auch die fortschreitende Digitalisierung befördern. 5G wird mittelfristig den sicheren und schnellen Intranetzugang auch in der Provinz alltäglich machen.

„Speckgürtel und Mittelstädte können die Gewinner sein“

Auch Carolin Wandzik vom Gewos Institut für Stadt-, Regional- und Wohnforschung, die sich für das Herbstgutachten mit dem Wohnsegment jenseits der A-Städte beschäftigt hat, sieht in Folge des Lockdowns „eine Renaissance der Suburbanisierung. Speckgürtel und Mittelstädte können die Gewinner sein.“ Auf den Wohnungsplattformen seien in den letzten Monaten deutlich mehr Wohnimmobilien in Mittelstädten gesucht worden. „Das öffentliche Wohnzimmer in der Stadt ist im Lockdown geschrumpft. Die Menschen wollen mehr Platz, mehr Grün, mehr Eigentum.“ Das habe direkt etwas mit der Entwicklung des Home-Office zu tun. „Wenn ich nur noch drei statt fünf Tage ins Büro muss, dann fahre ich auch 1,5 Stunden statt einer halben.“

Das wachsende Interesse, Wohnimmobilien zu kaufen, begründet Harald Simons, Vorstand beim empirica Institut, auch mit den gestiegenen Kontoständen der privaten Haushalte. Konsumausgaben, wie Shoppen, Fernreisen, Essen gehen, Konzert- oder Kinobesuche seien nahezu vollständig ausgefallen – und auch weiterhin eingeschränkt. Der Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im zweiten Quartal 2020 um 8,9% (im Vergleich zum 2. Quartal 2019) wurde durch den Rückgang der privaten Konsumausgaben um 11,7% maßgeblich verursacht. Kurzarbeitergeld, Liquiditätshilfen für Selbständige und Unternehmen sorgten gleichzeitig dafür, dass das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte um nur 0,8% sank und die Sparquote sich in der Folge auf 20,1% verdoppelte.

Keine Trendbrüche am Wohnungsmarkt

So erwartet Simons nicht, dass die Pandemie „zu Trendbrüchen auf dem Wohnungsmarkt führen wird. Aber das ist eine sehr vorläufige Aussage.“ Gestützt wird sie jedoch durch die Zahlen der Online-Plattformen zur Miet- und Wohnungspreisentwicklung. „Hier hat sich seit Ausbruch der Pandemie praktisch gar nichts geändert. Die Mieter zahlen ihre Mieten weiterhin pünktlich, die Hypothekarkredite werden bedient.“

2018 hatte Simons im Frühjahrsgutachten auf das schrumpfende Bevölkerungswachstum in den Metropolen hingewiesen. Das werde in Kombination mit dem zunehmenden Wohnungsbau zu einem Preisverfall um 25 bis 30% führen. „Die Preisprognose ist nicht eingetroffen und es ist jetzt an der Zeit, sie einzukassieren“, erklärt der Volkswirt bei der Pressekonferenz zum Herbstgutachten. So sind die Angebotspreise für Eigentumswohnungen in den A-Städten im ersten Halbjahr 2020 im Mittel um 6,2% gestiegen. „Ich schimpfe seit Jahren darüber, dass ich die Preise nicht für gerechtfertigt halte. Da wachsen die Risiken. Das kann mal gefährlich werden.“

Bevölkerung in Hamburg schrumpft im ersten Quartal 2020

Eingetroffen hingegen ist die Prognose der nachlassenden Zuwanderung in die Metropolen. Die Binnenwanderung aus Deutschland ist in den A-Städten schon seit Jahren negativ. Inzwischen ist auch die Zuwanderung aus dem Ausland stark zurückgegangen. Auch in Hamburg ist die Nettozuwanderung 2019 mit gut 6.000 zusätzlichen Einwohnern auf den niedrigsten Wert seit dem Zensus 2011 gesunken. 2015 gab es – auch bedingt durch die hohe Zahl an Flüchtenden – noch über 24.000 zusätzliche Einwohner an Bille und Elbe. Im ersten Quartal 2020 ist die Zahl der Menschen in Hamburg sogar um 769 gesunken – bedingt durch ein Minus im März von 1.452 Einwohnern.

Gleichzeitig ist die Zahl der fertiggestellten Wohneinheiten in der Hansestadt auf jeweils rund 10.000 in den letzten beiden Jahren gestiegen. Während die Preise für Eigentumswohnungen und auch Zinshäuser aufgrund der niedrigen Zinsen sowie fehlender Anlagealternativen weiter steigen, zeigt sich die Dynamik der Mieten angesichts des größeren Wohnungsangebots deutlich verhaltener. Nach empirica-Zahlen sind die Angebotsmieten in Hamburg im ersten Halbjahr immerhin um 4,6% auf 11,22 Euro/m2 gestiegen. Doch Simons sieht die Mieten auch in Hamburg im günstigen Segment stagnieren. „In Berlin bröckeln die Mieten am unteren Ende bereits seit 2018. Hier hat die Entwicklung inzwischen auch das mittlere Segment erreicht. In Hamburg und München steht diese Entwicklung noch am Anfang.“ Doch dieser Prozess werde durch die Pandemie nur beschleunigt, nicht ausgelöst.

Mehr Auslandszuwanderung nach der Krise

„Es könnte schon sein, dass die Auslandszuwanderung demnächst wieder zunimmt, wenn Deutschland wieder einmal schneller aus der Rezession kommen sollte, als andere Länder.“ Das kann sich auch Lars Feld vorstellen. Mittelfristig könne „mit stärkerer Zuwanderung nach Deutschland gerechnet werden“, sofern die aktuelle Gesundheits- und Wirtschaftskrise erfolgreich überwunden werde. „Eine vergleichsweise rasche Erholung der deutschen Wirtschaft ist denkbar, während andere Staaten der Eurozone einen sehr viel tieferen Einbruch aufzuholen haben.“

Grundsätzlich erwartet Feld: „Mit Auswirkungen darauf, wie wir zusammenleben und -arbeiten, wird die Krise die Immobilienwirtschaft nachhaltig beeinflussen.“

 

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